Dennis Schröder, 42, ist nach einem FSJ mit behinderten Menschen und seiner Ausbildung zum Erzieher seit 17 Jahren im Bereich der Jugendhilfe tätig. Er startete in Hessen bei einem Jugendhilfeträger. Heute ist die pädagogische Arbeit in der Kriseninterventionsstelle Wilhelmshaven der meracon gGmbH seine Passion. Kollegin Beate Ramm, Projektleitung der Hilfestation Oldenburg, hat mit ihm gesprochen.
BEATE: Du hattest einen holprigen Start? Das geht ja vielen so….
DENNIS: Jugendhilfe, das war die Hölle für mich. Ich war viel zu jung, man ist schnell in einer Art Beziehungskiste, lässt Sachen durchgehen, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Die Jugendlichen mit den Konsequenzen ihres eigenen Handelns zu konfrontieren, das habe ich erst später gelernt.
Wie lange bist du jetzt bei der meracon gGmbH und wie würdest du deine Arbeitsweise beschreiben?
Seit sechs Jahren. Ich versuche immer mit den Jugendlichen wertschätzend umzugehen. Das heißt auch: Der Jugendliche kann toben, aber so lange du eine wertschätzende Haltung einnimmst, wird er dir nicht an die Gurgel springen!
Was überwiegt bei dir, die Konsequenz oder die Akzeptanz gegenüber den Jugendlichen?
Durch die Trauma-Ausbildung habe ich meine komplette Arbeitsweise und meine Haltung verändert. Auch gegenüber dem Jugendamt habe ich jetzt einen ganz anderen Auftrag: Ich versuche den Kollegen dort nahezubringen, dass Bindungsarbeit die Voraussetzung für alles andere ist! Das Jugendamt hat Vorgaben und Ziele, ich bringe die Biografie der Jugendlichen mit.
Wir haben bei uns im Team auch einen eher akzeptierenden Ansatz. Das heißt ja auch, dass man nicht immer gleich mit Konsequenzen kommt, weil es für die Entwicklung der Jugendlichen manchmal gar nichts bringt, besonders, wenn sie traumatisiert sind.
Ja, durch die Fortbildung als Traumaberater fällt mir Akzeptanz viel leichter, ich bin feinfühliger geworden und kann mich besser in den Jugendlichen hineinversetzen. Was ist das für ein Unterschied: Mein Elternhaus war normal, ich habe dort selbstverständlich immer gewohnt und bin von meinen Eltern immer unterstützt worden. Im Vergleich dazu: Was haben unsere Jugendliche für einen Druck!
Außenstehende können es sich nicht vorstellen, wie ein Jugendlicher oder eine Jugendliche „tickt“, die niemals Vertrauen in Menschen haben konnte, keine Unterstützung erfahren hat und von den Bezugspersonen womöglich entwertet, manipuliert oder missbraucht wurde.
Sie haben nicht gelernt, mit Frustrationen und Versagenserfahrungen umzugehen. Es wurde eben in ihrer Kindheit die emotionale Basis nicht gebildet, die nötig ist, um das eigene Leben und die eigenen Beziehungen positiv zu gestalten. Deshalb sind unsere Jugendlichen oft in Gruppen nicht tragbar, sprengen Grenzen und drehen durch. In der eigenen Wohnung haben sie häufig zum ersten Mal einen Rückzugsort und können sich von Belastendem und Beziehungen erholen.
Ich denke oft: Welche Erleichterung muss diese plötzliche Abwesenheit von Konflikten bedeuten! Andererseits ist es ja völlig ungewohnt und es muss manchmal ganz schön hart sein, da plötzlich alleine in einer Wohnung zu sitzen.
Aber zum Glück können wir in der Eins-zu-eins-Betreuung sehr intensiv arbeiten. Häufig dauert es ein halbes bis ein Dreivierteljahr, bis die Jugendlichen „ankommen“, bis die Beziehung trägt. Es dauert eben seine Zeit, bis der oder die Jugendliche merkt, dass wir dranbleiben, egal, was sie machen. Deshalb ist es dann manchmal traurig, wenn die Maßnahmen zu früh beendet werden. Es braucht manchmal lange, bis sich die Fortschritte verfestigen und Selbstständigkeit sich entwickelt.
Ja, da braucht man einen langen Atem! Und es gelingt ja auch nicht immer, sozusagen die gesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen. Häufig heißt „Erfolg“ ja auch, dass die Jugendlichen beim Jobcenter und bei einer sozialpsychiatrischen Betreuung angebunden werden.
Es gibt schon manchmal krasse Fälle – Jugendliche, die wegen Vandalismus oder wegen Einbrüchen fast täglich bei der Polizei sind, die ihre Wohnung zerstören und sagen: Ich war’s nicht! Die ich dann tagsüber rausgeschmissen habe, denen ich phasenweise kein Bargeld mehr ausgezahlt und nur noch Lebensmittel gebracht habe – niemand von denen schaut weg, wenn er mich heute trifft. Auch wenn es in der Betreuung noch so fürchterlich lief – nach Ende der Betreuung spüren wir oft eine Dankbarkeit und dass die Bindung immer noch da ist. Oft die einzige in ihrem bisherigen Leben!
Noch mal zurück zu deiner Trauma-Fortbildung. Was sind das für Methoden, die du in der Betreuung konkret anwenden kannst?
Jedes auffällige und manchmal destruktive Verhalten hat seinen Grund – oft steckt eine Bewältigungsstrategie aus schwierigen Lebensphasen dahinter. In der Fortbildung wurden wir dafür sensibilisiert, warum bestimmte Ego-States plötzlich in den Vordergrund kommen und dann dieses Verhalten provozieren. Man erfährt etwas darüber, was die Trigger dafür sein können. Wir haben viele Methoden gelernt, um die Leute zu erden bzw. zu stabilisieren, zum Beispiel Positives Life-Event, Imaginationsübungen, EMDR, das ist eine sehr spezielle Übung mit den Augen. Toll ist auch die Screen-Technik. Sie wendet den Fokus auf etwas Positives und schafft eine positive Erinnerung.
Unsere Erfahrung im Team ist, dass Jugendliche häufig die Nähe des direkten Kontakts in der ersten Zeit kaum aushalten. Man merkt, dass sie diese Nähe häufig nicht gewohnt sind und sie dann mit negativen Gefühlen reagieren. Dafür braucht es gerade in der ersten Zeit ja sehr viel Fingerspitzengefühl…
Hilfreich ist es manchmal auch, wenn man schräg zueinander sitzt, dann ist der Kontakt nicht so direkt. Deshalb kommt es oft im Auto zu intensiven Kontakten – beide sind nah beieinander, aber nicht im direkten Augenkontakt. Dadurch können sich unsere Jugendlichen manchmal überfordert fühlen. Es dauert eben sehr lange, manchmal Jahre, bis die Beziehung diese neuen Erfahrungen möglich macht.
Was macht die meracon gGmbH für dich aus?
Es gibt immer ein offenes Ohr, einen Ansprechpartner. Man kann immer sagen, was einen beschäftigt. Dass ich die Trauma-Fortbildung machen konnte, empfinde ich als große Wertschätzung. Der Beruf ist Passion für mich, hat viel mit Leidenschaft zu tun. Ich möchte den Jugendlichen die Zeit und die Bindung geben, die sie brauchen, um hier anzukommen. n
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